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Wir alle sind Weilheim: Weilheim an der Teck

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"Wir alle sind Weilheim"

Wer sind die Menschen, denen wir täglich auf der Straße begegnen, und mit denen wir zusammenleben, Tür an Tür? Welche Geschichten haben sie hierhergeführt? Oder wohnen sie vielleicht schon ihr Leben lang hier? Haben wir – trotz äußerer Unterschiede – vielleicht Gemeinsamkeiten? Warum ist Weilheim Heimat für sie?

Die Fotoausstellung "Wir alle sind Weilheim" zeigt anhand von zwanzig individuellen Geschichten, dass es unterschiedliche Antworten auf diese Fragen gibt. Sie bringt uns Menschen aus aller Welt nahe, deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten. Und sie zeigt – in einer berührenden Sammlung von Bildern und Geschichten: Alle Weilheimer sind gleichwertige Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Nationalität.

Entstanden ist die Idee für die Ausstellung im Rahmen des Projektes „Integration durch Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft“ (IBEZ). Ohne die Bereitschaft der Teilnehmenden, sich in den Gesprächen zu „öffnen“, hätte das Projekt nicht in dieser Form umgesetzt werden können. Die Stadtverwaltung und der Künstler Pierre Jarawan bedanken sich darum herzlich bei allen Beteiligten.

   

Der Künstler:

Pierre Jarawan ist Autor und Fotograf. Er wurde 1985 in Jordanien, als Sohn einer deutschen Mutter und eines libanesischen Vaters geboren. Mit drei Jahren kam er nach Deutschland und wuchs in Kirchheim Teck auf. Sein erster Roman „Am Ende bleiben die Zedern“ wurde ein internationaler Erfolg. Sein Fotoprojekt „Paradise Lost“ erregte 2015 große Aufmerksamkeit. Pierre Jarawan lebt und arbeitet in München.

Adela Qiraxhi (*1989)

Es ist eine Zeit des Wartens. Acht lange Monate verbringt Adela Qiraxhi im Jahr 2017 allein mit zwei Kindern in Korça, Albanien, bis die erlösende Nachricht eintrifft: Sie kann per Familiennachzug nach Deutschland zu ihrem Mann. Damit schließt sich ein Kreis, der 2015 beginnt.

 

Da kommt Adela mit ihrer Familie erstmals nach Deutschland. Es herrscht kein Krieg in Albanien, aber es gibt auch keine Perspektive. Die Wirtschaft krankt, Korruption grassiert. Die studierte Philosophin und Soziologin und ihr Mann, gelernter Fliesenleger, verdient nicht genug, um der Familie ein lebenswertes Leben zu ermöglichen.

 

„Wir wollten in Deutschland eine Arbeit finden, um unser Leben zu verbessern. Wir wollten selbstständig sein und unser Geld verdienen, aber sich erst mal als Asylbewerber zu melden, war damals der einzige Weg.“

 

Die Familie wird nach der Ankunft in ein Camp nach Mannheim gebracht. Mit einem Bus, ohne zu wissen, wohin. Fast zwei Monate bleiben sie da, bevor sie nach Holzmaden gebracht werden. Dort machen sie zum ersten Mal Erfahrungen mit jener Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, die Adela bis heute rührt.

 

„Wir haben sehr viel Hilfe erfahren und sind bis heute dankbar, keine Diskriminierungen erlebt zu haben.“ 2016 muss die Familie zunächst zurück nach Albanien. Ein Jahr lang warten Sie auf die Bestätigung der Ausländerbehörde, bis Ihr Mann die Arbeitserlaubnis erhält. Er geht nach Deutschland, für Adela und die Kinder folgen acht Monate des Wartens.

 

Adelas erstes Ziel, nachdem sie per Familiennachzug endlich hier ankommt, ist es, die Sprache zu lernen. Heute spricht sie sehr gut Deutsch, arbeitet als Kinderbetreuerin in der Grundschule der Stadt. 2019 ist die Familie nach Weilheim gezogen.

 

„Die Menschen hier sind sehr freundlich“, sagt Adela. „Ich fühle mich heimisch und glücklich hier. Die Kinder sind in der Schule und im Kindergarten, wo sie Freunde gefunden haben.“

 

Vielleicht hat dieses Wohlfühlen mit den Traditionen zu tun. Zwar ist die Mentalität in Korça ungezähmter, lauter, so Adela, aber sowohl in Weilheim als auch in Korça gibt es Sommerfeste, Möglichkeiten der Begegnung. „Und den Frühjahrsputz“, fügt sie lachend hinzu, „den gibt es hier wie dort.“

Anabella Pinto Abrantes (*2011)

Wenn Anabella von Portugal erzählt, gerät sie ganz schön ins Schwärmen. „Man kann dort viel erleben, es gibt wunderschöne Zoos, in denen die Tiere frei herumlaufen, es gibt Erdmännchen, Schlangen, Chamäleons …“. Es ist ein Schwärmen, aber kein Verklären. „Leider gibt es auch viele Waldbrände dort“, erzählt sie.

 

Geboren ist Anabella in Nürtingen. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater ist Portugiese. Trotz einiger Verwandter, die in Portugal leben, ist sie eher unregelmäßig dort. „Ungefähr alle drei Jahre“, sagt sie. Die Sprache beherrscht sie ein bisschen. Wenn sie mit ihrer Großmutter spricht – die Großeltern sind vor dreißig Jahren nach Deutschland gekommen und leben ebenfalls in Weilheim, – dann hilft Anabellas Vater beim Übersetzen.

 

Ob sie vorhat, die Sprache zu lernen? „Eigentlich hab ich anderes zu tun“, sagt sie lachend. Verständlich, bei so vielen Hobbys. Da ist zum einen die Kunst – ein Lieblingsfach in der Schule und eine Leidenschaft in der Freizeit, denn sie zeichnet gern. Zum anderen ist da das Schwimmen. Zurzeit macht sie im Verein einen Rettungsschwimmerkurs. „Ich bin eine echte Wasserratte“, erzählt sie. Und, natürlich, Sport allgemein. Früher hat sie Handball gespielt, jetzt turnt sie im Verein.

 

Und nebenbei stellt Anabella sich ihre Zukunft vor. „Krankenschwester zu werden ist mein Traum, ich möchte Leuten helfen“, sagt sie. Warum? „Ich selbst hatte schon ganz schön viele Operationen, ich hatte Brüche und Bänderrisse, da haben die Krankenschwestern mir auch sehr geholfen.“

 

In Weilheim fühlt Anabella sich wohl. In ihrer Freizeit durchstreift sie mit Freunden die Stadt, die sogar Parallelen zu dem portugiesischen Dorf hat, aus dem ihre Großeltern stammen: „Hier gibt es das Städtlesfest, wo es auch einen portugiesischen Stand gibt – und dort gibt es ein Dorffest mit Essen und traditionellen Tänzen. Es ist leicht, sich hier in Weilheim zu Hause zu fühlen.“

Ciydem Ceylan-Mutlu (*1982)

Ein Bild aus der Kindheit: ein kleines Grundstück hinter der Feuerwehr. Es stehen Bäume darauf. „Damals war das ein großer Wald für mich“, erinnert Ciydem sich. Diesen Ort gibt es nicht mehr, das Grundstück ist heute bebaut. Orte wandeln sich. Das weiß kaum jemand besser als sie, die Architektin. Sie ist in Kirchheim geboren und in der dritten Generation in Deutschland.

 

Der Großvater kam in den Sechzigerjahren als Gastarbeiter. Später holte er seine Frau und Ciydems Vater nach. Das war 1976. Irgendwann gingen die Großeltern zurück. „Aber wenn wir sie in der Türkei besuchen und von der Marktstraße erzählen, in der sie damals gelebt haben, dann leuchten ihre Augen.“ Der Vater blieb „und spricht heute ein richtig breites Schwäbisch“, lacht Ciydem.

 

Sie studiert in Stuttgart Architektur, arbeitet ab 2009 zunächst in Wien, dann in Istanbul. Dort wird 2011 ihre Tochter geboren. 2011 kommt die Familie zurück. „In Istanbul habe ich gemerkt, dass ich mich der deutschen Mentalität näher fühle“, sagt Ciydem. Woran macht sie das fest? „Ich habe es an der Mentalität gespürt. Und natürlich am Thema Pünktlichkeit.“

 

In Weilheim fühlt die Familie sich wohl. Sie reisen viel, aber die Stadt bleibt der Fixpunkt, immer wieder kehren sie zurück. „Metropolen sind dicht gebaut, aber das Auge sucht nach Weite, so sind wir Menschen“, sagt Ciydem. „Hier ertappe ich mich beim Innehalten. Bei jeder Rückkehr bewundere ich die Limburg, die Silhouette der schwäbischen Alb, der Teck.“

 

Es gibt viele sich schließende Kreise in ihrem Leben. Ihre Kinder besuchen dieselbe Grundschule, die auch Ciydem besucht hat. Erinnerungen und Kindergartenfreunde sind immer noch hier, heute spielen die Kinder zusammen. Es ist eine aktive Stadt, die sich für Ciydem immer weiterentwickelt. Zum Positiven. „Weilheim wurde in den vergangenen Jahren sehr aufgewertet“, erzählt sie. „Die Bücherei ist wunderschön. Ich war in meiner Kindheit oft dort und heute ist es ein Ort für junge Familien.“

 

Es ist allein ihr Name, der ihre weit zurückliegenden Wurzeln verrät, obwohl sie von hier kommt. „Wir Menschen mit Migrationshintergrund müssen offen sein, auch für Missverständnisse“, sagt sie. Noch immer wird sie ab und zu gefragt, welche Sprache die Familie eigentlich daheim spricht. „Alles, was fremd ist, ruft bei Menschen manchmal eine Angst hervor. Sie suchen dann Schubladen, um dieses Fremde einzuordnen. Genau deshalb ist es so wichtig, aufeinander zuzugehen.“

Dr. Dorthe Heinsohn (*1974)

Angekommensein als erfüllte Sehnsucht. Für Dorthe ist das Leben hier genau das: Ankommen und sich zu Hause fühlen. „Für mich ist dieser Ort wie das Auge des Hurrikans“, sagt sie. „Bis ich hier ankam, ist mein Leben sehr unstet gewesen.“

 

Aufgewachsen in Norddeutschland. Angekommen unter der Teck. Aber die Unterschiede sind nicht so groß, wie man denken könnte. „Man sagt immer, die Schwaben seien Fremden gegenüber nicht so gesprächig. Aber diese Mentalität ist mir aus Norddeutschland bekannt. Man schaut erst mal, was das denn für eine Person ist, bevor man sich öffnet“.

 

Aufeinander zugehen, das ist eine Zweibahnstraße. „Hier wird jede ausgestreckte Hand auch ergriffen“, sagt Dorthe. Dass das nicht überall so ist, weiß sie. Sie ist viel herumgekommen.

 

1996 geht sie nach Leipzig, um Wirtschaftsingenieurwesen für Bau zu studieren. 2003 verschlägt es sie der Liebe wegen nach Detroit, wo sie sieben Jahre lang lebt und in Betriebswirtschaft promoviert. „Ich mochte das scheinbar Raue dort“, sagt sie. 2010 führt ihr Weg sie nach Kirchheim. Wieder ist die Liebe der Grund. „Liebe“, sagt Dorthe, „kann ein sehr starker Antrieb sein.“ 2016 dann kommt sie hier an, wohnt in einem idyllischen Fachwerkhaus. Zugezogen, nicht, weil sie musste, sondern weil sie wollte. Auch der Kontraste wegen.

 

„Ich liebe argentinischen Tango und Enduro fahren. Ich hatte Führungspositionen in der Automobilindustrie, aber seit fünfundzwanzig Jahren beschäftige ich mich auch mit Energie- und Heilarbeit. In mir vereine ich vieles, was scheinbar gegensätzlich ist.“

 

Die Entscheidung, sich als Coach und Heilerin selbstständig zu machen, beruht auf einem Schicksalsschlag. 2021 stirbt Dorthes Schwester. Die Verbindung der beiden war sehr eng. „Da stellt man sich schon die Sinnfrage“, erzählt sie. Die Mitte finden. Dem Ruf des Herzens folgen. Glücklich zu sein, auch wenn man trauert. Das kostet Kraft, die ihr dieser Ort gibt.

 

„Die Natur hier hat etwas Entschleunigendes“, sagt sie. „Die Umgebung hier hat eine Magie für mich.“ Und so lernt sie hier zum ersten Mal ein Gefühl kennen und lieben, das neu für sie ist: satt sein. Fülle.

 

„Satt sein im Sinne von nicht mehr so rastlos sein, ich bin hier zur Ruhe gekommen.“ Noch immer ist sie viel unterwegs. Aber: „Ich brauche das Unterwegssein nicht mehr. Ich schätze mein Leben hier nicht wert, weil ich viel unterwegs bin, sondern weil es nichts gibt, was ich hier gern anders hätte.“

Elena Chariskou (*1967) & Maria Chariskou (*1970)

Der Ort, aus dem die Familien der beiden Cousinen stammen, bietet Stoff für Geschichten: Drama, eine Stadt in Nordgriechenland. Und obwohl es eine Geschichte von Trennungen und Abschieden ist, ist es eine gemeinsame Geschichte.

 

„Unsere Väter sind Brüder“, sagt Elena. „Sie kamen 1969 als Gastarbeiter nach Deutschland. In Künzelsau arbeiteten sie auf einer Baustelle, unsere Mütter waren Näherinnen.“ Elena ist zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt. Während ihre Eltern in Deutschland arbeiten, wächst sie bei der Großmutter in Drama auf.


„Aus heutiger Sicht“, sagt Elena, „ist das unvorstellbar. Aber damals war das normal. Unsere Eltern hatten keine Wahl, sie mussten Geld verdienen, und das bedeutete, dass auch die Mütter arbeiten mussten.“

 

1970 wird Elenas Cousine Maria in Künzelsau geboren. Kurz darauf kehren ihre Eltern mit der Tochter nach Griechenland zurück. „Mein Vater hat sich in Deutschland nie wohlgefühlt“, erzählt Maria. Er war bereit, in Griechenland etwas ärmlicher zu leben, dafür aber zu Hause zu sein.“

 

Die beiden Cousinen wachsen in Griechenland auf. Maria bei ihren Eltern, Elena bei der Großmutter, fernab der Eltern, denen sie Briefe schreibt. Die Gegend ist ländlich. Die Mädchen spielen Seilhüpfen, Verstecken, erkunden gemeinsam die Natur. Nur im Sommer, wenn Vater und Mutter nach Drama kommen, sieht man sich für einige Wochen. „Ich habe meine Eltern damals sehr vermisst“, erzählt Elena.

 

Als Elena zehn Jahre alt ist, ist das Vermissen zu groß. Sie zieht zu Vater und Mutter, besucht hier die Grundschule, macht die Hauptschule fertig.

 

Ein paar Jahre später, da ist sie sechzehn, geht Elena ins Kino. Nicht irgendeins. Es ist ein Kino in Nürtingen, das sonntags griechische Filme zeigt. „Im Grunde war das die reinste Brautschau“, erzählt sie lachend. Es ist 1984. In der Vorführung trifft sie einen jungen Mann, nur unwesentlich älter als sie. Sie heiratet ihn ein Jahr später. „Wir waren sehr jung, und meine Eltern waren nicht einverstanden“, erzählt sie, „aber wir sind heute immer noch zusammen.“

 

So kommt Elena nach Weilheim. Ihre Schwiegereltern betreiben hier eine Kneipe, die sie und ihr Mann später übernehmen. Maria, inzwischen 19 Jahre alt, besucht ihre Cousine 1989 in Weilheim, und auch sie lernt hier ihren zukünftigen Mann kennen. 1990 zieht auch sie in die Stadt. „Wir haben zwei Heimaten“, sagen die beiden. „Nach so vielen Jahren ist Deutschland unsere erste Heimat. Aber die Sehnsucht nach der zweiten Heimat ist da. Unsere Wurzeln liegen in Griechenland, unsere Geschwister leben dort, wir sind die Einzigen, die noch hier sind.“

 

Was sind die größten Unterschiede zu dort? „Die Südländer“, sagt Elena, „sind offener und herzlicher als in Deutschland. Aber hier in Weilheim sind die Unterschiede kleiner. Auch hier grüßen die Menschen auf der Straße und mit den Jahren und den Generationen ist die Stadt immer offener geworden, deswegen fühlen wir uns hier wohl.“

Gregg Young (*1954)

Im Jahr 2015 erhält Gregg Young einen Anruf aus Kiew. Da ist er gerade frisch pensioniert, wähnt sich im Ruhestand. Doch die Anfrage reizt ihn: Er soll dabei helfen, zwischen den landwirtschaftspolitischen Interessen der Ukraine und Genf zu vermitteln. Seine Erfahrung ist gefragt. Also macht er sich erneut auf die Reise.

 

Es ist eine Reise, die von der weltpolitischen Bühne bis in den Gemeinderat Weilheims führt. Von Washington über Belgrad nach Genf und Kiew bis unter die Teck. Vom aktiven Gestalter zum Sitzungsbesucher, der sich immer noch für Politik begeistert.

 

1954 wird Gregg Young als einer von drei Söhnen in der Hochebene Colorados geboren. Schon früh kommt er mit der Landwirtschaft in Berührung, seine Familie betreibt Rinderzucht auf 4000 Hektar Grasland.

 

1972 meldet er sich für einen Schüleraustausch in Neuseeland an, – wird aber nach Deutschland gelost. So spielt das Leben manchmal. In Bredstedt lernt er das Land schätzen und kehrt 1980 zum Studium an der landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim zurück. Während des Studiums trifft er seine Frau, eine gebürtige Weilheimerin. Die beiden heiraten 1985 in Weilheim und ziehen noch im gleichen Jahr nach Washington D.C., wo Gregg sich erfolgreich um seinen Traumjob im US-Landwirtschaftsministerium bewirbt.

 

Seine Expertise führt ihn von Washington aus als Gesandter seines Ministeriums auf das internationale diplomatische Parkett. In Genf, – der letzten Station vor dem vermeintlichen Ruhestand – steht Gregg Young bei den Agrarverhandlungen der Welthandelsorganisation in der ersten weltpolitischen Reihe.

 

Doch der Ruhestand muss warten, als der Anruf kommt. Bis 2020 ist Gregg in Kiew aktiv, pendelt zwischen dort und Weilheim. „Ich wohne schon so lang hier“, sagt er, „aber seit zwei Jahren erst bin ich durchgängig daheim.“ Auch die drei Söhne der Youngs empfinden Weilheim als ihre deutsche Heimat.

 

In dem Haus, das der Großvater seiner Frau gebaut hat, gibt es immer etwas zu tun. Zwischen Mittwochsturnen und dem Besuch von Gemeinderatssitzungen ist er in der Steuerungsgruppe Fair Trade aktiv.

 

„Ich möchte mich mit meiner Erfahrung einbringen“, sagt er. „Ich bleibe zwar Amerikaner. Aber ich lebe hier, also ist Weilheim meine Heimat, und man kann seine Heimat gestalten.“

Heike Planitz (*1966)

Wenn du zwischen dem Verlust deines Augenlichts und deines Gehörs wählen müsstest, wofür würdest du dich entscheiden? Für Heike ist die Antwort klar: „Das Augenlicht, denn ohne Musik kann ich nicht sein.“

 

Das ist seit ihrer Kindheit so, die geprägt war von Marika Röck, Fred Astaire und Gene Kelly Tanzfilmen. Oder einer Südstaatenserie mit Sherley Temple, die ein kleines Mädchen spielte, das Stepptanz konnte. „Ich wollte genauso werden“, erzählt sie.

 

Diese Kindheit spielt sich in Hochdorf ab. Mit vier Jahren beginnt Heike eine klassische Ballettausbildung in Plochingen. Die Lehrerin erkennt ihr Talent. Als Heike elf Jahre alt ist, schlägt die Lehrerin vor, sie auf die renommierte John-Cranko-Schule in Stuttgart zu schicken. Wer die Schule besucht, schafft es meist auf die großen Bühnen der Welt, wie das Royal Ballett London. Ihre Eltern sind skeptisch, auch weil die Aussicht auf tägliches Pendeln eine Belastung darstellen würde. So wird Heikes Lebensweg ein anderer. Aber immer noch einer, der voll von Musik ist.

 

„Tanz“, sagt sie, „ist für mich das Betreten einer anderen Welt. Tanz ist Bewegung und Möglichkeit, sich auszudrücken. Tanz kann einem helfen, schwere Zeiten zu überstehen. Tanz ist für mich Glück.“ Und dieses Glück teilt sie.

 

In der Realschule leitet sie eine Tanzgruppe. Mit 21, da arbeitet sie als Bürokauffrau, wird sie zum ersten Mal Mutter. Also zieht sie mit ihrer Familie von Kirchheim in ein Haus nach Weilheim. Zwei weitere Kinder werden geboren. „Wir wohnen hier sehr gern, gerade weil ich Dorfkind bin; meine Kinder sind hier sehr frei aufgewachsen“, sagt sie heute.

 

Schnell lernt sie andere Mütter kennen. Sie alle eint der Wunsch nach Bewegung als Ausgleich. Und der Zufall will es, dass ein kleiner Gymnastikraum in der Limburghalle freisteht, den sie mieten kann. So fängt es an: Mit einer privaten Gruppe, in der Heike Fitnesskurse leitet. Schnell wird mehr daraus. Heute gibt die Tanzlehrerin Kurse für 150 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Aus einem Kurs wurden fünfzehn. Das Tanzen bleibt der Mittelpunkt ihres Lebens. Abseits der großen Bühnen, aber nicht weniger spannend und abwechslungsreich.

 

Auch auf andere Weise schließt sich ein Kreis. „Meine Mutter war Flüchtling“, erzählt Heike. „Sie kam mit vier Jahren nach Deutschland, als die Deutschen Ungarn verlassen mussten.“ Auch nach Weilheim zieht es Menschen aus allen Gegenden der Welt. Und das Leben spiegelt sich in dem kleinen Gymnastikraum in der Limburghalle. „In meinen Kursen sehe ich die Multikulturalität der Stadt“, sagt Heike. „Es sind Menschen aus Ghana, Brasilien, der Türkei. Eigentlich von überallher. Das zeigt: Musik und Tanz verbindet über alle Grenzen hinweg.“

Jesse Burgmann (*1977)

Wie gut es um eine Gemeinschaft steht, merkt man in Krisenzeiten. „Dieser Zusammenhalt in Weilheim war sensationell. Die Leute haben uns sehr geholfen. Ich glaube nicht, dass das in Großstädten auf diese Weise gegangen wäre. Das habe ich in Weilheim lieben gelernt“, sagt Jesse Burgmann und erinnert sich an die schwierigste Phase seit der Eröffnung seines Restaurants.

 

Wobei: Für den gebürtigen Bielefelder ist nicht nur die Pandemie eine Herausforderung gewesen, sondern auch die Gewöhnung an den schwäbischen Humor. „Hat‘s gepasst?“, fragte er in der Anfangsphase einen Gast seines Restaurants.  Die Antwort – das muss man wissen, – ist natürlich ein Kompliment: „Mer kas essa!“

 

Die Gastronomie liegt Jesse Burgmann in den Genen. Als er aufwuchs, hatten alle in seiner Familie in diesem Bereich zu tun. 2008 erhielt seine Mutter das Angebot, ein leer stehendes Restaurant in Weilheim zu übernehmen. Jesse, der nach Jahren in der Systemgastronomie Lust auf etwas Neues hatte, zog von Düsseldorf aus mit her.

 

Seine Lebensgefährtin, die er später in Weilheim heiratete, begleitete ihn. Heute hat das Paar vier Kinder, alle hier geboren.

 

„Mission Aufbau-Südwest. So nannten wir das“, erinnert Jesse sich lachend. „Wenn du, wie ich, notorischer Optimist bist, dann lassen sich kleine Rückschläge besser aushalten“, sagt er. So ist aus der spontanen Idee ein kleiner Betrieb geworden, nicht wegzudenken aus der Stadt. Wegdenken kann sich auch Jesse, inzwischen in den Gemeinderat gewählt, nicht mehr.

 

Was als Liebe auf den zweiten Blick oder als kleiner Kulturschock begann, ist heute ein Schwärmen. „Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen“, sagt Jesse. Aber es ist nicht nur die Natur. „Dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben, sieht man in Weilheim“, sagt er. „In der Anonymität einer Großstadt fällt einem das nicht so auf, aber hier bist du mittendrin, du bist Teil davon, und die Integrationsdynamiken, die Möglichkeiten, die hier zur Begegnung geschaffen wurden, sind imponierend.“

Kiriakos Patsiouridis (*1957 )

Es ist einer dieser Zufälle, wie sie nur das richtige Leben bietet und der Kiriakos unter die Teck führt: 1978, Griechenland. Ein idyllisches Dorf namens Handras. Dort ist er aufgewachsen, und dorthin kehrt er während des Militärdiensts für einen kurzen Urlaub zurück, um seine Eltern zu sehen. Seine zukünftige Frau, 17 Jahre alt, macht zur selben Zeit mit ihren Eltern Urlaub im Dorf. Sie kommt aus Weilheim. „Wir haben uns kennengelernt und direkt verlobt“, erzählt Kiriakos.

 

Er ist in Handras geboren, als jüngstes von drei Kindern. Die Familie betreibt eine Landwirtschaft mit Büffeln, Pferden, Schafen. Mozzarella, Schafskäse, das alles stellen sie selbst her. Als Griechenland von einer Wirtschaftskrise erfasst wird, stirbt auch die Landwirtschaft. Da ist Kiriakos 15 Jahre alt. Er verlässt das Dorf und besteigt 1972 in Piräus ein Schiff, um Matrose zu werden. So sieht er Südafrika, Schanghai, Peru, Chile, Holland. Deutschen Boden betritt er zum ersten Mal, als das Schiff in Hamburg anlegt.

 

Dann ruft der Militärdienst. Berufssoldat zu werden, ist für Kiriakos keine Option. Er leistet den Dienst, weil es Pflicht ist. Währenddessen träumt er davon, als Taxifahrer nach Athen zu gehen, um so sein Geld zu verdienen. Vermutlich wäre das sein Lebensweg geworden, wäre da nicht die Liebe gewesen …

 

Sie heiraten in Handras. „Eine große, traditionelle Hochzeit“, erinnert er sich. Im Dezember 1978 kommt er erstmals nach Weilheim. Für zwei Wochen. Erst im Mai `79 endet der Militärdienst. In diesem Jahr kommt Kiriakos endgültig hier an.

 

Er beginnt, als Kraftfahrer zu arbeiten. Es sind kleinere Touren, er ist also viel daheim. „Neunzig Prozent der Arbeiter waren damals Deutsche“, erzählt er, „deswegen habe ich die Sprache schnell gelernt.“ 1981 wird seine erste Tochter geboren, 1983 die zweite.

 

Von Anfang an fühlt Kiriakos sich wohl unter der Teck. Es gibt einen griechischen Handwerksverein, wo er Anschluss findet. „Die Menschen hier waren von Anfang an wie Freunde“, sagt er. Weilheim, das ist Heimat für ihn. Kiriakos liebt die Natur, die Limburg. Fast täglich geht er heute noch dort spazieren. Im Jahr 1991 baut er ein Haus in Griechenland, direkt am Meer. Aber nicht, um zurückzugehen, sondern „für unsere Kinder und Enkel, als Urlaubsort“, erzählt er.

 

Die Familie stand für ihn immer im Vordergrund. Genau wie die Stadt. „Selbst, wenn wir irgendwo ein Haus geschenkt bekämen“, sagt er heute, „würden wir niemals woanders hinziehen“.

Luigi Migliozzi (*1961)

 

Vielleicht lässt es sich so sagen: Luigi Migliozzis Leben teilt sich in zwei Hälften. Die eine ist von Veränderungen geprägt, die andere von Konstanz. Seine Geschichte beginnt wie so viele Geschichten – mit dem Ankommen der Eltern als Gastarbeiter in Deutschland, Anfang der Sechzigerjahre.

 

„Damals dachten meine Eltern, sie würden nur ein bis zwei Jahre bleiben und dann zurück nach Italien gehen“, erinnert er sich. Luigi ist in Kampanien geboren, nahe der Hafenstadt Neapel. In Deutschland besucht er den Kindergarten. Dann, als er eingeschult werden soll, beschließen die Eltern, dass er auf eine Schule in Italien gehen soll. „Sie waren damals immer noch überzeugt, nur für kurze Zeit in Deutschland zu sein, und darum sollte ich eine italienische Schule besuchen.“

 

Luigi zieht also nach Italien. Allein. Mit sieben Jahren. Während die Eltern in Deutschland sind. Der Vater arbeitet damals in einer Marmorfabrik in Holzmaden. „Niemand von meinen italienischen Verwandten wollte oder konnte mich damals aufnehmen“, erinnert er sich, „darum ging ich aufs Internat.“ Dort bleibt er bis zur 5. Klasse. Er vermisst seine Eltern, die er nur in den Sommerferien sieht. Als er zwölf ist, zieht er zu seiner Tante auf einen Bauernhof, mit fünfzehn beendet er die Schule.


„In Italien sind nur acht Jahre Schulpflicht, in Deutschland sind es neun“, sagt Luigi. Als er mit fünfzehn also nach Deutschland zurückkommt, besucht er noch ein Jahr die Hauptschule, da sein Deutsch damals nicht so gut ist. „In Italien hatte ich leider viel von der deutschen Sprache vergessen“, erinnert er sich.

 

Nach der Schule arbeitet er zwei Jahre lang in derselben Marmorfabrik wie sein Vater. Dann, 1977, geht es tatsächlich mit der Familie zurück. Doch die wirtschaftliche Lage in Italien ist schwierig. Der Vater findet keine Arbeit. Am Ende steht der Entschluss, nun doch nach Deutschland zu ziehen.

 

Hier beginnt der zweite, ruhigere Teil seines Lebens. Luigi macht eine Ausbildung als Schlosser, geht auf die Berufsschule, findet in Weilheim Arbeit und heiratet 1986 seine Frau. Sie ist ebenfalls Kind von Gastarbeitern. Heute haben sie drei Söhne.

 

„Ich fühle mich durchaus italienisch“, sagt Luigi heute. „Ich habe eine starke emotionale Verbindung nach Italien, auch meine Mama lebt heute dort. Sicher hat es auch mit den Sitten und Bräuchen, der Mentalität zu tun.“ Aber dort zu leben, kann er sich nicht vorstellen. Denn er ist über seine Kinder und Enkelkinder in beiden Ländern verwurzelt.

 

„In Weilheim haben wir 2001 unser Haus gebaut“, erzählt er, „wir sind hier genauso zu Hause und fühlen uns hier wohl.“

Oksana Gordejeva (*1984)

„Der Umzug nach Deutschland war ein unerwartetes Abenteuer“, sagt Oksana heute. Seit vier Jahren lebt sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern schon hier. Sie, die damals neu im Land und in der Stadt war, hilft heute Neuankömmlingen aus der Ukraine dabei Fuß zu fassen.

 

Geboren ist Oksana in Lettlands Hauptstadt Riga. Ihre Eltern waren einfache Leute. Während die Mutter sich um Oksana und ihren Bruder kümmerte, besaß der Vater eine kleine Dachdeckerfirma. Oksanas Großväter stammen beide aus der Ukraine und ihre Großmütter aus Weißrussland und Lettland.

 

Auf ihre Kindheit blickt Oksana mit gemischten Gefühlen zurück. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete dunkle Zeiten für Lettland“, erinnert sie sich. „Wirtschaftlich und politisch war es alles andere als sicher.“ Diesen Erinnerungen gegenüber stehen helle Momente: Sommerferien mit den Eltern in einem kleinen Landhaus, Spazieren im Wald, Radfahren, Schwimmen. „Im Sommer waren immer viele Kinder in der Datscha. Wir verbrachten den ganzen Tag an der frischen Luft“.

 

Nach der Schule studiert Oksana Lebensmitteltechnologie und macht einen weiteren Master in „Business Management“. Zwei Wochen nach ihrem Abschluss wird 2010 ihr Sohn geboren. Ihren Mann hat Oksana 2008 kennengelernt. 2014 folgte die Geburt des zweiten Kindes, eine Tochter.

 

Als Oksanas Mann 2018 ein Jobangebot aus Nabern erhält, beschließt die Familie, gemeinsam nach Deutschland zu kommen. Nach ersten wechselhaften Monaten finden Sie eine Wohnung in Weilheim. Schnell lernt Oksana die deutsche Sprache. Sie trotzt allen Widrigkeiten – der neuen Umgebung, den Herausforderungen der Pandemie. Als der Krieg in der Ukraine beginnt, macht sie sich auf den Weg ins Rathaus, um sich nach Möglichkeiten für ihre in der Südukraine lebenden Verwandten zu erkundigen. Der Anblick so vieler Geflüchteter berührt sie.

 

„Ich wollte helfen. Ich wollte diese Menschen in diesen schrecklichen Zeiten nicht allein lassen. Das ist unsere Mentalität“, erzählt sie. Und weiter: „Ich bin dem Schicksal dankbar dafür, dass ich zu Beginn meiner Reise nur freundliche und offene Menschen getroffen habe, die mir sehr geholfen und mich unterstützt haben. Jetzt bin ich selbst zum Guide für Neuankömmlinge geworden, weil ich mich erinnere, wie schwierig es war, in einem fremden Land, ohne Sprache und Freunde.“

 

In Weilheim fühlt die Familie sich wohl. „Es ist ein sicherer Ort für Kinder“, sagt sie. Natürlich vermisst Oksana ihre Verwandtschaft in Riga, ihre Eltern, ihren Bruder, Freundinnen. „Aber“, sagt Oksana, „Weilheim ist eine kleine Stadt mit jahrhundertelanger Geschichte und einem großen Herzen. Wo auch immer wir sind, es ist wichtig, Mensch zu bleiben.“

Peyman Abbassy (*2000)

Manchmal holen Nachrichten einen ein. Die Bilder von der Ankunft ukrainischer Geflüchteter in Deutschland haben Peyman berührt. „Ich weiß, wie diese Menschen sich fühlen“, sagt er, „wir teilen Erfahrungen.“

 

Im Arbeitskreis Asyl, wo er sich engagiert, hilft Peyman den Menschen. Er hat Ähnliches erlebt. Aufgewachsen in Herat, Afghanistan, flieht er 2016 mit seiner Familie vor den Taliban nach Deutschland. Fast fünfzig Tage dauert die Reise. Durch den Iran, die Türkei, Griechenland, Ungarn, Österreich. Dann Deutschland. „Wir waren in verschiedenen Camps“, erzählt er. Nach drei Monaten dann, an Weihnachten 2016, die Ankunft in Weilheim.

 

„Obwohl damals fast alle Geschäfte geschlossen hatten, waren die Menschen sehr hilfsbereit“, erinnert er sich. „Man hat uns Haushaltsartikel gebracht, uns Hilfe angeboten.“ Eine Lehrerin aus dem Sprachkurs, den Peyman nach der Ankunft besucht, meldet ihn in der Schule an. Hier findet er Anschluss, erlebt Überraschungen: „In Afghanistan gibt es in der Schule Noten von eins bis zwanzig. Zwanzig ist die Beste. Als ich meine erste Eins hatte, war ich erst mal erschrocken.“ Nach ein paar Monaten Vorbereitung kommt Peyman in die 9. Klasse. Er macht zuerst den Hauptschulabschluss. 2019 dann die Mittlere Reife. Heute macht er eine Ausbildung in einer Druckerei.

 

„Ich bin dankbar, dass ich diesen Weg gehen konnte“, sagt er. „Viele Kinder in Afghanistan können nicht in die Schule, weil es nicht sicher ist.“ Wie wichtig das Beherrschen der Sprache ist, weiß er. Darum hilft Peyman in einer Dolmetschergruppe, unterrichtet als Freiwilliger in einer Folgeschule Deutsch. Seit fünf Jahren engagiert er sich im Arbeitskreis Asyl.

 

Die Familie wohnt in der Stadtmitte. Peyman lebt bei seinen Eltern. „Ich war überrascht, dass die Kinder in Deutschland mit achtzehn normalerweise ausziehen. Ich hätte dann das Gefühl, dass mir Lebenserfahrung fehlt“, sagt er. Tatsächlich dürften nur wenige Achtzehnjährige über so viel Lebenserfahrung verfügen wie Peyman. Dass er sie weitergibt, ist für ihn selbstverständlich: „Mensch ist Mensch“, sagt er. „Ich finde es wichtig, mich einzubringen.“

 

Immer an Weihnachten schließt sich ein Kreis. Ankunft und Neubeginn. Von der Wohnung in der Stadtmitte aus kann Peyman jedes Jahr sehen, wie das Weihnachtsfeuer entzündet wird. Er mag den Anblick, mag es, mittendrin zu sein. „In Weilheim war es leicht, direkt Anschluss zu finden. Die Menschen haben es uns leicht gemacht.“

Rabia Selek (*1997)

„Heimat ist kein Ort für mich, sondern ein Gefühl“, sagt Rabia. Und dieses Gefühl liegt in der Sprache. „Mit meinen Eltern spreche ich Türkisch, mit meinem Bruder deutsch und türkisch.“ In diesen beiden Welten bewegt sich auch Rabias Geschichte.

 

Sie ist in der dritten Generation hier zu Hause. Eltern und Großeltern waren Gastarbeiter, Rabia ist hier geboren. Das Gefühl, das ihr Aufwachsen begleitet, ist eines, dass alle Kinder kennen, die zwei Heimaten haben. „Früher war die Türkei ein Sehnsuchtsort für mich“, erinnert sie sich. „Ich kannte das Land nur aus Urlauben.“ Inzwischen hat sie ein Auslandssemester in Istanbul hinter sich, hat das Land aus einer neuen Perspektive kennengelernt. „Ich könnte mir heute vorstellen, ein paar Jahre dort zu leben“, sagt Rabia, „aber dann würde ich sicher zurückkommen wollen.“

 

Sprache spielt auch in ihrem Werdegang eine Rolle. Als Rabia zwölf ist, zieht sie mit ihrer Familie von Neidlingen nach Weilheim. Sie beendet hier die Realschule, geht anschließend aufs Wirtschaftsgymnasium, wo sie in drei Jahren ihr Abitur macht. Inzwischen studiert sie an der PH Ludwigsburg Deutsch, Islamische Religionspädagogik und Deutsch als Zweitsprache. Mehrsprachigkeit bei anderen zu fördern ist ihr ein großes Anliegen. „Mehrsprachigkeit spiegelt auch unsere Gesellschaft wider“, sagt sie.

 

In gewisser Weise betritt Rabia mit ihrem zweiten Studiengang Neuland. Islamische Religion wird bislang nur an wenigen Schulen unterrichtet, aber hier besteht zweifelsohne Bedarf angesichts einer immer multikultureller werdenden Gesellschaft. Auch in Rabias persönlichem Leben spielt der Glaube eine große Rolle. „Ohne meinen Glauben würde ich mich leer fühlen. Er ist etwas, aus dem ich Kraft schöpfe, etwas, das mein Leben begleitet.“

 

Diese Spiritualität drückt Rabia gerne mit ihrem Kopftuch aus. Die Frage, inwieweit sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes Rassismus erfahren hat, beantwortet sie mit: „Glücklicherweise nur sehr selten. Leider kenne ich viele, die das anders erleben, aber ich schätze mich glücklich, Teil einer toleranten Umgebung zu sein.“ Wird ihr manchmal gesagt, sie spreche überraschend gut deutsch? „Nein“, sagt sie, „Wenn, dann wäre meine Antwort: Danke, Sie auch!“

 

Rabia reist und fotografiert gerne. Aber Weilheim bleibt ein Fixpunkt. Zur Stadt hat sie eine enge Verbindung. An der Werkrealschule hat sie einige Jahre als Förderlehrkraft gearbeitet, ist auch während des Studiums nicht weggezogen. „Es ist ein schöner Ort zum Leben“, sagt sie. „Selbst, wenn ich nach kurzen Studientagen aus dem Bus steige, freue ich mich, wieder hier anzukommen.“

Ranea Sayl (*1984)

Als Ranea beschließt, Syrien mit ihrem Mann und den zwei Kindern zu verlassen, herrscht seit vier Jahren Krieg. Einmal sind sie da bereits umgezogen, in eine kleine Wohnung, in ein anderes Viertel. Das große Haus, in dem sie bis dahin gelebt hatten: von Soldaten geplündert, das gesamte Viertel: unbewohnbar.

 

Damaskus ist die Stadt, in der Ranea aufgewachsen ist. Es ist die Stadt, in der sie den Mann, den sie 2010 heiratet,  durch Zufall in der Wohnung eines Bekannten kennenlernt. Und es ist die Stadt, in der ihre beiden Kinder 2011 und 2013 geboren werden.

 

Im Jahr 2000 beginnt sie, im Landwirtschaftsministerium als Lebensmittellaborantin zu arbeiten. Als der Krieg ausbricht, passt ihr Mann vormittags auf die Kinder auf, abends dann geht er seiner Arbeit als Angestellter der Wassergesellschaft nach, und Ranea übernimmt.

 

„Damals hatte ich große Angst um ihn“, erinnert sie sich. „Für Männer war es draußen besonders gefährlich, wenn es dunkel wurde.“ Aber nicht nur dann. Einmal schlägt eine Bombe in dem Gebäude ein, in dem Ranea arbeitet. Kollegen kommen dabei ums Leben.

 

2014 beschließt die Familie, das Land zu verlassen. „Wenn wir geblieben wären, wären wir heute nicht mehr am Leben“, sagt Ranea. Mit dem Flugzeug reisen sie nach Sudan, von dort aus mit dem Auto über die Grenze nach Ägypten, wo es ihnen nicht erlaubt ist, Asyl zu beantragen. Sieben Monate bleiben sie dort. Dann beschließen sie, mit den Kindern ein Boot nach Europa zu nehmen, wie so viele vor ihnen schon.

 

„Sieben Tage hat die Überfahrt gedauert“, erzählt Ranea. Über Italien und Frankreich kommen sie nach Deutschland. Die erste Station ist Kirchheim. Elf Monate später zieht die Familie nach Weilheim, im Mai 2016. Zunächst bleibt Ranea zu Hause bei ihrem Kleinsten, dann beginnt sie die deutsche Sprache im Eiltempo zu lernen.

 

Es ist ein neues Leben in vielerlei Hinsicht. „Weilheim ist eine sehr schöne Stadt“, sagt Ranea. „Man hat uns hier viel geholfen, mit bürokratischen Dingen, aber auch beim Ankommen.“ Die Kinder gehen hier auf die Schule und auch der Kindergarten ist in der Nähe.

 

Obwohl sie vierzehn Jahre Berufserfahrung hat, wird ihre Tätigkeit als Lebensmittellaborantin hierzulande nicht anerkannt. Bedauert sie das? „Nein“, sagt Ranea. „Ich mache hier eine Ausbildung zur Erzieherin im Kindergarten. Ich liebe die Arbeit mit Kindern. Kinder fördern die Kreativität, sie bringen Abwechslung in den Alltag. Dadurch ist jeder Tag etwas Neues.“

Rümeysa Tezel (*2010)

„Heimat, das sind für mich meine Freunde, meine Familie“, sagt Rümeysa. „In der Türkei werde ich als Deutsche gesehen. Aber das ist okay.“

 

Diesen Satz hört man öfter von Angehörigen der zweiten Generation, der auch Rümeysa angehört. Geboren ist sie in Göppingen. Ihre Eltern kamen aus der Türkei zunächst nach Bremen, bevor sie in den Süden zogen. Onkel und Tanten wohnten bereits hier. Nach der Geburt folgte der Umzug nach Weilheim.

 

„Als Kind war ich oft in der Türkei, aber seit Corona nicht mehr. Es hat mir sehr gefehlt, meine Großeltern, Cousinen und Cousins zu sehen“, sagt sie. Dieser Teil der Familie lebt im malerischen Konya, südlich von Ankara.

 

Rümeysa besucht die 5. Klasse der Realschule. Sport und Ethik zählen zu ihren Lieblingsfächern. Und auch sonst spielt Sport eine große Rolle in ihrem Leben. Sie spielt Handball und betreibt Leichtathletik auch im Wettkampfbereich.

 

Und die Sprache? „Zu Hause sprechen wir eine Mischung aus Türkisch und Deutsch. Mein Freundeskreis in Weilheim ist sehr international, weil auch die Stadt international ist“, erzählt sie. Ihre Mutter kümmert sich daheim um die Kinder – Rümyesa und ihre Schwester, – ihr Vater arbeitet bei Mercedes.

 

Hier in Weilheim fühlt sie sich wohl. „Ich bin quasi auf dem Spielplatz aufgewachsen“, sagt sie. „Wir machen oft Radtouren zur Limburg, es gibt hier viel zu sehen und zu erleben.“

 

Und die Zukunft? „Ich würde gerne Künstlerin werden“, sagt sie. „Ich zeichne gerne Menschen, ich kann mir vorstellen, Malerin zu werden.“ In ihrer lebhaften Vorstellungskraft gibt es nur eine Sache, die sie sich nicht ausmalen kann: „Ich könnte mir nicht vorstellen, in der Türkei zu leben. Ich bin hier geboren. Dort ist es ja ganz anders.“

Said Amiri (*1937)

Manchmal verändert ein Satz ein ganzes Leben. Für Said Amiri lautet dieser: „Ich habe einen Freund gefunden!“ Der Satz wird 1964 gesagt. Von einem Mann im Landratsamt Nürtingen, der eigentlich Saids Visum verlängern soll. Doch er ist ihm so zugewandt, dass er beschließt, den Chef der Firma Rau in Weilheim anzurufen, damit dieser Said kennenlernt. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte.

 

Said wächst in Afghanistan auf. Besucht in den Vierzigern die Oberrealschule mit Fremdsprache deutsch in Kabul. Einige deutsche Unternehmen errichten damals im Norden der Stadt eine Textilfabrik. Die Firma Hochtief baute zudem die Infrastruktur für ein Dampfkraftwerk, während Siemens und andere Hersteller die Anlagen dazu lieferten. Bei Hochtief und Siemens arbeitet Said vor und nach dem Militärdienst. Man verspricht ihm Aufstiegsmöglichkeiten vor Ort, aber das Versprechen wird nicht gehalten. Said ist kein Mann, der darauf wartet, dass das Schicksal ihm Wege aufzeigt. Er zieht los und sucht sich seine Möglichkeiten selbst.

 

„1963 bin ich nach Deutschland gereist. Nicht als Flüchtling, sondern ganz offiziell“, erinnert er sich. Ich hatte ja für Hochtief in Afghanistan gearbeitet. Ich hatte keine Lust, rumzusitzen und Däumchen zu drehen und auf irgendwelche Angebote zu warten.“ Man muss sich das vorstellen: Ein Mann reist von Kabul über Moskau und Berlin nach Köln, um an die Tür der Personalabteilung der Firma Hochtief zu klopfen. Und weil seine Zeugnisse hervorragend sind, kann er sofort anfangen. Acht Monate lang ist er für die Reinigung der Mosel zuständig. Dann verschlägt ihn der Zufall 1964 nach Nürtingen ­– und dort wird der Satz geäußert, der Said am Ende hierher nach Weilheim bringt.

 

Er beginnt eine beispiellose Karriere beim Landmaschinenhersteller Rau. Nach nur zwei Jahren bereist er in leitender Position als Verkaufsförderer ganz Europa. Anfang der Siebzigerjahre wird er im Iran stationiert, ­– inzwischen ist er verheiratet mit einer Frau aus Holzmaden. Das Paar hat heute zwei Kinder. 1975 wird er zum Werksdelegierten der Firma Rau, ist zuständig für den gesamten Nahen Osten und Nordafrika, aber auch nach Russland und Südamerika führt ihn seine Arbeit. In den Achtzigerjahren beginnt die Familie ein Haus in Weilheim zu bauen. ­Said ist zu der Zeit in Bagdad stationiert.

 

„Schaffe, schaffe, Häusle baue, war damals mein Motto“, sagt er heute. Als er im Jahr 2000 in Rente geht, hat er nie von Sozialhilfe oder sonstigen staatlichen Unterstützungen gelebt. Alles, was er erreicht hat, kam aus eigener Kraft. Darauf ist er noch heute sehr stolz.

 

„Integration“, sagt Said, „ist keine Einbahnstraße. Respekt entsteht nur durch ein Sprechen auf Augenhöhe. Und wenn man an einem Ort angenommen wird, dann ist es leicht, den Ort zu mögen.“

 

Für einen wie ihn ist Ruhestand nur ein Wort. Als ehrenamtlicher Dolmetscher hilft er in der Arbeitsgruppe Asyl, bei Behördengängen, hält Vorträge in Schulen etc. Für sein beispielloses Engagement wird er 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt er bereits 1979. Aber auch das ist nur ein Wort. „Ich bin Afghane. Ich bin Deutscher. Ich bin „Schwabghane“. Ich bin Sozialarbeiter“, sagt Said. Und fügt hinzu: „Und ich bin natürlich Weilheimer!“

Sulaiman Hoeshan (*1995)

Es gibt diesen einen Moment, da erkennt er: Das ist das Ende. Ein Checkpoint der Armee in Damaskus. 2012. Sie halten ihn an. Kontrollieren seinen Ausweis. Sehen: Er müsste eigentlich seinen Wehrdienst leisten und dann in diesem Bürgerkrieg kämpfen. Sie verhaften ihn, foltern ihn, sperren ihn ein. Seine Eltern wissen von nichts, für sie ist er verschwunden. Nur mit viel Mühe gelingt es ihnen herauszufinden, wo Sulaiman ist. Mit Schmiergeld können sie ihn herausholen. Dann verlässt die Familie Syrien.

 

„Ich habe davon geträumt zu studieren“, sagt Sulaiman heute. „Politikwissenschaften. Etwas Großes. Aber das ging nicht mehr, aufgrund des Kriegs.“ Die erste Station ist Alexandria, in Ägypten. Dort arbeitet er als Kältetechniker, dazu ist er ausgebildet. Aber das Leben bleibt schwierig. „Ich hatte dort keine Zukunft, hatte das Gefühl, mich zu Tode zu arbeiten.“ Sulaiman geht an den Strand. Er hört von Menschen, die mit dem Boot nach Europa aufbrechen. Es ist 2014. „Ich dachte mir: Ich muss weg. Und entweder ich sterbe oder ich überlebe. Und wenn ich überlebe, lasse ich alles hinter mir und fange neu an.“

 

Zu diesem Zeitpunkt ist Sulaiman 19 Jahre alt. Er lässt seine Eltern und Geschwister in Alexandria zurück. Zehn Tage dauert die Überfahrt. Die einzige Nahrung sind Datteln und Wasser. Von Italien aus geht es nach Frankreich und von dort nach Stuttgart. Filderstadt ist der erste Wohnort. Als er seine Aufenthaltsgenehmigung erhält und eine Wohnung finden muss, zieht er nach Weilheim.

 

„Damals lag Schnee“, erinnert er sich. „Ich war überrascht, wie schön die Stadt war.“ Sulaiman beginnt die Sprache im Rekordtempo zu lernen. Er weiß: Die Sprache ist der Grundstein, wenn er sich hier etwas aufbauen will. Sein Zimmer ist damals übersät mit Notizzetteln, überall Vokabeln. Er absolviert eine Ausbildung bei der Firma Mohring als Anlagemechaniker. Nach nur sechs Jahren in Deutschland lässt Sulaiman sich einbürgern. Die Firma hat ihn übernommen, er hat eine Wohnung, spricht fließend Deutsch. Und Schwäbisch! „Mer wird bloß groß, mit Spätzle ond Soß!“, sagt er lachend.

 

„Ich fühle mich als Teil dieser Gesellschaft. Man hat mir hier sehr viel geholfen“, erzählt Sulaiman. Seine Beziehung zur Stadt bezeichnet er wie die eines Fisches zum Wasser: „Immer, wenn ich Weilheim verlasse, muss ich wieder zurückkommen. So gut gefällt es mir hier. Ich habe hier Beziehungen aufgebaut.“ Nur die Eltern sind noch immer in Alexandria, dürfen nicht mit her. Mit ihnen vereint zu sein, ist ein Traum für ihn. Und er hat noch einen: „Ich wünsche mir, hier in Weilheim alt werden zu können.“

Susana Marcos Silva (*1981)

Nur wenige Menschen können von sich sagen, zwei Heimaten zu haben und trotzdem nie weggewesen zu sein. Zumindest, wenn man die eigenen Erinnerungen als Maßstab nimmt.

 

Susana ist 1981 in Kirchheim geboren, als Tochter portugiesischer Gastarbeiter. Ihre Eltern kamen nach Deutschland, als sie sechzehn waren, ebenfalls als Kinder von Gastarbeitern. Susanas Großvater war einer der ersten Portugiesen in Weilheim.

 

„Damals war Folgendes üblich: Zuerst kamen die Väter, später zog die Familie nach“, erinnert Susana sich. Und noch etwas war damals üblich: „Kinder, die hier geboren sind, sind dann oft mit den Großeltern zurück, während die Eltern zum Arbeiten blieben.“

 

Das trifft auch auf Susana zu. Als sie achtzehn Monate alt ist, zieht sie mit ihren Großeltern nach Portugal. Die ersten vier Lebensjahre verbringt sie dort, unterhalb des höchsten Berges Portugals, der Serra Da Estrela.

 

„Ich habe Portugal immer als zweite Heimat erlebt“, erzählt sie. Bis heute fährt sie mit der Familie jedes Jahr dorthin, fühlt sich in beiden Welten zu Hause. Den bewussten größten Teil ihres Lebens hat sie in Weilheim verbracht. Vom Kindergarten über die Grund- und Realschule macht sie später ihr Fach-Abitur am Berufskolleg Fremdsprachen und ihre Ausbildung zur Industriekauffrau. 2002 heiratet sie ihren Mann, ­– auch er kommt aus Portugal und war, wie Susanas Vater, sechzehn bei der Ankunft. Das Paar hat heute zwei Kinder.

 

Dass die Kinder in Weilheim Portugiesisch lernen, ist für Susana selbstverständlich. „Es ist eine Weltsprache“, sagt sie, „und Sprachen öffnen einem die Welt.“ Sie selbst beherrscht fünf verschiedene Sprachen. Die Tatsache, zwei Heimaten zu haben, hat sie nie als Konflikt empfunden. „Ich wurde weder hier noch dort als Ausländerin gesehen“, erzählt sie – in perfektem Schwäbisch.

 

Kann sie sich vorstellen, nach all den Jahren auch mal wegzuziehen? „Früher konnte ich mir das nicht vorstellen“, sagt Susana. „Heute schon eher, aber das hat wohl eher mit dem Älterwerden zu tun und damit offen für Neues zu sein ­– nicht mit unserem Leben hier in Weilheim.“

 

Während ihr Großvater noch einer der ersten Portugiesen in der Stadt war, gibt es hier heute um die 200 Portugiesen, die sich hervorragend in die Weilheimer Gemeinde integriert haben. Den portugiesischen Verein besucht sie regelmäßig. Dort wird sich ausgetauscht, gefeiert und getanzt, auch in traditioneller Folklore.

 

„Ich bin kein Großstadtmensch“, sagt Susana. „Hier bin ich großgeworden. Weilheim ist für mich eine Traumstadt.“

Wilhelm Braun (*1937)

Es ist 1993, als Wilhelm Braun sich in einen Herzog verwandelt. Nicht in irgendeinen. Es ist der Herzog Bertold II. von Zähringen. Anlässlich eines Festtagsumzugs schlüpft er in das Kostüm. Und auf gewisse Weise streift er es nie mehr ab. „Die Figur des Herzogs hat mich interessiert. Also habe ich angefangen, mehr über die Geschichte der Region zu lesen.“

 

Heute ist Wilhelm Braun so etwas wie Weilheims Stadtgedächtnis. Man könnte auch sagen: Das heimliche Auskunftsbüro der Stadt. Obwohl er seit über zwanzig Jahren im Ruhestand ist, ist er als Stadt- und Kirchenführer aktiv. Es gibt kaum ein Haus, eine Straße oder eine Gastwirtschaft, über die Wilhelm Braun nichts zu erzählen weiß.

 

Den Urschwaben hat es nie woanders hingezogen. Aufgewachsen ist er in Hepsisau. Die Mutter Landwirtin, der Vater Weber in der Textilfirma Faber & Becker, die damals auf dem Gebiet stand, wo heute Rewe und Aldi sind. 1951 macht er die Lehre zum Industriekaufmann, arbeitet selbst in einer Lederfabrik in Jesingen, danach, bis zum Ruhestand, als Verkaufsleiter und Prokurist bei Faber & Becker. 1964 heiratet er und zieht nach Weilheim, heute ist er Vater von drei Kindern.

 

Landschaft und Historie faszinieren Wilhelm Braun. „Beides gehört hier untrennbar zusammen“, sagt er. Apropos Natur: Nach seiner Ankunft in Weilheim findet Wilhelm Braun in der örtlichen Bergsteigergruppe ein paar Seelenverwandte. Gemeinsam gehen sie auf Klettertouren ­ – von der Alb ins Ötztal, in die Dolomiten und schließlich aufs geliebte Matterhorn. „Das war ein Lebenstraum“, erinnert Wilhelm Braun sich, „Der Mythos, der den Berg umgibt, die Besteigung ­– das war etwas Besonderes.“

 

Und dann ist da noch das Singen. Seit 1954 ist er Sänger beim Männerchor Hepsisau. Vierzig Jahre lang ist er stellvertretender Präsident des Chorverbands Karl-Pfaff. 1969, als Weilheim 1200-jähriges Stadtjubiläum feiert, singt Wilhelm Braun im Männerchor, und jedes Jahr beim Städtlefest und beim Hepsisauer Dorffest ist er immer noch aktiv mit dabei. Auch die Leichtathletik begleitet ihn seit Jahrzehnten. Jahrelang war er beim TSV-Männersport aktiv. Bis heute legt er jährlich das Deutsche Sportabzeichen ab.

 

Geschichte wird geschrieben. Und Wilhelm Braun schreibt selbst. Ein Buch mit Gedichten hat er veröffentlicht, und eins über alte Sitten und Bräuche in der Region. „Ich liebe mein Hepsisau und ich liebe mein Weilheim“, sagt er. Kein Wunder also, dass er selbst zum Urlaubmachen selten wegfährt. Wozu auch? „Ich habe die Limburg hinter und das Freibad vor dem Haus“, erzählt er, „warum sollte ich da noch weg?“.

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